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Selbsthilfegruppe

MENTALISIERUNGSBASIERTE THERAPIE

WAS IST MENTALISIEREN?

Das Mentalisierungskonzept wurde Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts von einer Arbeitsgruppe um die britischen Psychoanalytiker Peter Fonagy und Mary Target entwickelt. Das Konzept wird stetig erweitert und stellt aktuell eine der empirisch begründeten Weiterentwicklungen der Psychoanalyse dar, die die historische Spannung zwischen Psychoanalyse, Bindungstheorie und den empirischen Entwicklungswissenschaften beizulegen sucht. Mentalisieren bezeichnet eine imaginative Fähigkeit, sich mentale Gründe des eigenen Verhaltens und des Verhaltens anderer vorstellen zu können. Mentale Gründe für Verhalten können Emotionen, Wünsche, Kognitionen und Ziele sein. Über den Prozess des Mentalisierens wird also hinter dem eigenen und fremden Verhalten ein psychischer Prozess vermutet, der Verhalten intentional sinnbehaftet, erklärbar und auch zu einem gewissen Grad vorhersagbar macht. Damit wird Mentalisieren zu einem zentralen Prozess der individuellen Lebenskunst, der es dem Individuum ermöglicht, eigene mentale Prozesse durch die Brille vergangener Erfahrungen oder Repräsentationen einzuordnen und ihnen eine Bedeutung für das eigene Leben zu geben. Denn über das Verstehen der Einzelsituation hinaus ermöglicht Mentalisieren als interpersonale Interpretationsfunktion eine sinnhafte Zuordnung einzelner Erfahrungen zu einem autobiographischen Selbst, welches seine individuelle Historie mit gegenwärtigem Erleben und Zukunftsvorstellungen verbinden kann.
Der Zusammenbruch oder die Nicht-Verfügbarkeit von Mentalisierung oder die systematische Fehlinterpretation der Intentionen anderer ist ein möglicher Ansatzpunkt, um Interaktionsprobleme zu erklären und zu verstehen, wie diese mit schwacher Affektregulation, Impulsproblemen und chronischen Schwierigkeiten im Zusammenleben oder Zusammenarbeiten in interpersonellen Kontexten zusammenhängen.
Eine gut ausgeprägte Mentalisierungsfähigkeit befähigt Menschen nicht zum Gedankenlesen. Vielmehr nehmen sie eine mentalisierende Haltung ein. Mentalisierende Menschen gestehen sich ein, dass sie grundsätzlich nicht ganz genau wissen können, was im Anderen vor sich geht und sie manchmal in ihren Einschätzungen irren. Diese Fehlerfreundlichkeit ermöglicht eine Flexibilität im Handeln, auch im professionellen Handeln. Menschen mit einer mentalisierenden Haltung bringen eine Neugierde gegenüber mentalen Prozessen bei sich selbst und bei Anderen mit und eine Bescheidenheit in Bezug auf ihr Wissen über den Anderen. Sie vermitteln anderen direkt und indirekt, dass sie daran interessiert sind, zu verstehen, was in ihnen vor sich geht. Eine solche Haltung bildet die Grundvoraussetzung zur Weiter-Entwicklung von reflexiven Kompetenzen und für weitergehende positive professionelle Entwicklungsprozesse (Evers & Taubner, 2019).

MENTALISIERUNGSBASIERTE THERAPIE

Als moderne Therapiemethode integriert die MBT verschiedene Aspekte anderer erfolgreicher Therapien (z. B. psychodynamische, systemische, klientenzentrierte sowie kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze) und vereint diese mit dem Ziel, Mentalisieren zu fördern (Taubner et al., 2019). Zentral für die MBT ist die Hypothese, dass Mentalisieren im Kontext einer affektiv bedeutsamen (therapeutischen) Beziehung trainiert werden kann. Aufgrund des Zusammenhangs mit basalen Bindungserfahrungen und dem prozessualen Charakter des Mentalisierens wird dabei nicht davon ausgegangen, dass Mentalisieren rein psychoedukativ gefördert werden kann. Vor dem Hintergrund eines empathisch getragenen sicheren Arbeitsbündnisses werden daher Gefühle, Gedanken, Wünsche, etc. zwischen Therapeutin oder Therapeut und Patientin oder Patient zum Arbeitsfeld der Therapie. Das Mentalisieren der Beziehung zwischen Therapeutin oder Therapeut und Patientin oder Patient wird als zentraler Wirkmechanismus der Veränderung angesehen. Das Ziel von MBT besteht darin, die Mentalisierungsfähigkeit des Patienten aufrechtzuerhalten, wo sie bereits gelingt, und dort zu verbessern, wo eingeschränktes Mentalisieren Symptome und interpersonelle Probleme auslöst. Die Veränderungstheorie der MBT kann wie folgt beschrieben werden: Durch ein verbessertes Mentalisieren entsteht ein mentaler Puffer zwischen Gefühlen und Handlung, sodass konflikthafte interpersonale Erfahrungen und schwierige Affekte reflektiert werden können. Den Patientinnen und Patienten ist ein Denken vor dem Handeln möglich, eine Reflexion vor dem Ausagieren. Die Verbesserung von Mentalisieren in der therapeutischen Beziehung hängt dabei von einer Stärkung des Vertrauens in sozial vermittelte Informationen, also des epistemischen Vertrauens, einher.

MBT wurde zunächst als stationäre Therapie konzipiert und später als hochfrequentes ambulantes Programm weiterentwickelt, bei dem Einzel- und Gruppentherapien jeweils wöchentlich über einen Zeitraum von 12-18 Monaten durchgeführt werden. Alle MBT-Behandlungen folgen störungsübergreifend dem folgenden Schema:


  1. Diagnostik-Phase (inkl. der Erfassung von Mentalisierungsfähigheiten)

  2. Risikoeinschätzung und Erstellen eines Krisenplans

  3. Erstellung einer Fokusformulierung

  4. Psychoedukation

  5. Einzelsitzungen

  6. Gruppensitzungen

  7. Booster-Sitzungen nach Ablauf der Therapie

WIRKSAMKEIT DER MBT

Die Wirksamkeitsstudien zu MBT zeigen deutlich sowohl auf der Ebene der randomisiert-kontrollierten Studien als auch der Meta-Analysen und systematischen Reviews, dass MBT bei Erwachsenen mit Persönlichkeits- störungen (besonders Borderline-Persönlichkeitsstörungen) indiziert ist und auch bei Jugendlichen mit selbstverletzendem Verhalten gute Ergebnisse erzielt werden können. MBT zeigt sich dabei einer nicht-psychologischen Therapie wie einem strukturierten klinischen Management gegenüber überlegen in der Behandlung der Selbstverletzung, der Suizidalität, der Rehospitalisierung und der allgemeinen Symptom- belastung sowie der Ausprägung von BPS. Darüber hinaus wurden positive Effekte auf das soziale Funktionsniveau und der beruflichen Wiedereingliederung deutlich. Wie im Hinblick auf alle störungs- spezifischen psychologischen Therapien bei BPS zeigt sich auch für MBT eine Überlegenheit gegenüber nicht spezialisierten psychologischen Therapien (Oud et al., 2018). Auch für komorbide Erkrankungen wie in dem Fallbeispiel zeigen Wirksamkeitsstudien vielversprechende Ergebnisse, sodass auch komplexere Störungsbilder (BPS mit Sucht, Essstörungen, Antisozialer Persönlichkeit) mit MBT behandelt werden können (Volkert et al., 2019). Allerdings sind weitere Studien notwendig, die die methodischen Probleme und Unsicherheiten überwinden, die das gesamte Feld der Evidenzbasierung störungsspezifischer BPS-Therapien betreffen (Storebro et al. 2020).

WEITERBILDUNG ZUR MBT-THERAPEUT:IN

Nach den Richtlinien des Anna-Freud-Centres in London und dem Berufsverband MBT-D-A-CH bieten wir eine zertifizierte Weiterbildung in MBT an, die verschiedene Kurse und Supervision beinhaltet. Als Einstieg findet der MBT-Basiskurs statt, bei dem die Grundlagen der MBT in Theorie, Haltung und Interventionen vermittelt wird. Im Anschluss finden erste Behandlungen mit Patient:innen mit Persönlichkeitsstörungen unter MBT-Supervision statt. Der MBT-Praxis-Kurs vermittelt eine Vertiefung der Therapieelemente und Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung der MBT anhand der klinischen Herausforderungen im Einzel- und Gruppensetting. Nach Abschluss des Praxis-Kurses und des Nachweises von 16 Supervisionsstunden bei akkreditierten Supervisor:innen kann eine Zertifizierung als MBT-Therapeut:in erfolgen. 

Vier Schritte zur MBT-Therapeut:in

  1. MBT-Basiskurs

  2. Nachweis von 16 Supervisionsstunden (4 Therapien, davon mind. 2 Patient:innen mit Persönlichkeitsstörung, 2 Gruppen sind ebenfalls möglich; alternativ 8 Doppelsupervisionssitzungen mit zwei Patient:innen mit Persönlichkeitsstörung)

  3. MBT-Praxis Kurs

  4. Zertifizierung beim Berufsverband MBT-D-A-CH und dem Anna-Freud-Centre in London


WEITERBILDUNG ZUR MBT-SUPERVISOR:IN

Im Anschluss an die Zertifizierung als MBT-Praktiker:in kann eine Weiterqualifikation als MBT-Supervisor:in absolviert werden. Voraussetzung ist eine weitergehende Ausbildung im Bereich der MBT durch zusätzliche Trainings (z. B. im Bereich der Adoleszenz-, Kinder-, Eltern-, Gruppen-, Familien- und Paartherapie oder störungsspezifische Vertiefungen. Darüber hinaus sollten 6 supervidierte MBT-Therapien nach Abschluss der Zertifizierung als MBT-Therapeut:in bei akkreditierten Supervisor:innen erfolgt sein. Im Rahmen eines Supervisor:innen-Kurses werden die für die MBT erforderlichen Supervisionsinhalte und Supervisonstechniken vertieft.

Fünf Schritte zur MBT-Supervisor:in

  1. Zertifizierung als MBT-Therapeut:in

  2. Teilnahme an weiterführenden MBT Trainings

  3. Nachweis von 6 MBT-Fällen unter Supervision (davon 3 Patient:innen mit Persönlichkeitsstörung)

  4. Teilnahme am Supervisionskurs

  5. Schriftliche Empfehlung durch akkreditierte MBT-Supervisor:innen und Akkreditierung durch den Berufsverband MBT-D-A-CH und das Anna-Freud-Centre in London

LINKS UND MATERIALIEN

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